Luft Luft
Luft Luft Ultraschallaufnahme Herz/ Atem

'Luft Luft, mir erstickt das Herz'
Noch im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit ist das Herz metaphorisch und poetisch reichhaltig konnotiert: Es kann brechen und sprechen, es kann erweicht, erfrischt und erwärmt werden; etwas geht zu Herzen oder kommt von dort, und das Zusammenwirken von Herz und Hand ist zum humanistischen Ideal erhoben. Und zwischen Laurie Anderson, William S. Burroughs und trivialer Schlager-Lyrik changiert das Spektrum seiner literarisch-musikalischen Inanspruchnahmen. Seit Jahrhunderten hat das „Leitorgan der verinnerlichten Menschlichkeit“ (Sloterdijk) eine komplexe theologische, metaphysische, soziale und kulturelle Bedeutungsaufladung erfahren. Als Sitz der Emotionen und Gefühle – wenn nicht gar der Seele – verdächtigt, ist es doch nur eine mechanisch arbeitende Pumpe, Voraussetzung für Leben wie kaum ein anderes Organ, aber mittlerweile ersetzbar wie manch anderes im menschlichen Körper. Indem es mit jedem Schlag die Lebensspanne verkürzt („And listen to the heart beat as it beats our lives away“, Iron Butterfly), taugt es zum Symbol für die Endlichkeit jeder Existenz.
Ebenso eng – und metaphorisch – mit dem Am-Leben-Sein und dessen Gegenteil verbunden ist die Luft: zum Odem poetisiert, wenn zum Beispiel der Schöpfergott dem Erdklumpen Vitalität einhaucht – bis das Geschöpf sie wieder aushaucht.
Kein Wunder also, dass Herz- und Lungenleistung verbal miteinander verwebbar sind: „Seinem Herzen Luft machen“ ist ein Sprachbild, in dem sich das hydraulische mit dem pneumatischen Zentralorgan verknüpft. Denn beider Funktionen sind voneinander abhängig: ohne Luft kein Herzschlag, ohne Herzschlag keine Atmung.
All diese Aspekte sind in Josefh Dellegs Video präsent und in einem komplexen Geflecht zueinander in Beziehung gesetzt. In ihm wird die verborgene Mechanik der lebensnotwendigen organischen Prozesse transparent – sind doch Herz und Luft gemeinhin unsichtbar. In seinem Video verhilft der Künstler beiden zur Wahrnehmbarkeit: dem Herzen mit Hilfe der bildgebenden Apparatemedizin, der Luft mit Hilfe der akustischen Aufnahmetechnik. Das Herz im Zeitalter seiner medialen Darstellbarkeit und das darüber gelegte Geräusch des schweren, bewussten Atmens verbinden sich zu einem bewegten Meditationsbild, das die Mechanik des Lebendigen sicht- und hörbar reproduziert. Wem das Herz, wem der Luftstrom gehört, bleibt unklar; gemeint ist nicht ein Individuum, sondern der Pulsschlag, dem wir alle unterworfen sind: den Zwängen des Luftholens und des Blutkreislaufs. In der beständigen Wiederholung ein und desselben Ablaufs entwickelt die audiovisuelle Installation eine Sogwirkung, die, je länger man sich ihr aussetzt, desto intensiver auf einen übergreift, den eigenen Rhythmus beeinflusst bis hin zu dessen Synchronität mit den fremden Lebensäußerungen. Die ewige Wiederkunft des Gleichen beruhigt und verunsichert in einem Atemzug. Kontinuierlich scheinen sich die Lebenszeichen fortzusetzen und machen doch die Frage nach ihrem Ende unabweisbar.
Richard Wagners Musikdrama „Tristan und Isolde“ liefert den entsetzten Titel-Ausruf, den die tragische Heldin angesichts der ihr drohenden beklemmenden Verhältnisse ausstößt. Über den Begriff des Erstickens hat Wagner den Tod seiner Protagonistin vorweggenommen: Wenn der Atem stockt, erstickt das Herz.
Wie in vielen seiner Arbeiten argumentiert Josefh Delleg auch in dieser audiovisuellen Inszenierung mit dem Prinzip der Reihung, Addition und Repetition: diesmal unter dem doppelten Aspekt der Überlagerung zweier sich wiederholender physischer Prozesse.
Ist es Zufall, wenn kurze Zeit nach Abschluss des Projekts für den Künstler eine Lebensphase beginnt, in der die dort angesprochenen Themen des Lebens und Überlebens unmittelbar existentielle Bedeutung gewinnen? Josefh Delleg konnte nicht ahnen, dass seine Arbeit auf dramatische Weise für ihn selbst biografisch bedeutsam werden sollte. Selten kommt es vor, dass ein Künstler auf diese Weise sich von einem eigenen Werk betroffen fühlt…
Dr. Harald Kimpel